Weniger Dialekt und Reden mit Maschinen: Neun Thesen zur Zukunft der Sprache

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Veröffentlichung: 
Saturday, 4. March 2023
Medientyp: 
Medium: 
Region (Bundesland): 
Raportita de: 
Lu Wunsch-Rolshoven

8. These: Es setzt sich keine Universalsprache durch

(...) "Dafür müsste schon die Menschheit neu gegründet werden. Ansonsten ist es völlig undenkbar", sagt etwa die Sprachwissenschafterin Vetter.  [Vetter weist daraufhin, dass Esperanto nicht von allen gleich leicht zu erlernen ist:] "Esperanto ist sehr stark in europäischen Sprachen verhaftet."
 
Bisherige Versuche, eine Universalsprache zu kreieren, seien gescheitert, gibt Experte de Cillia zu bedenken. [Sprache sei nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch identitätsstiftend; das sei der Grund dafür. de Cillia verweist auf den Erfolg von Esperanto als literarische Sprache.] (...) Zudem würden Kinder ab Geburt mit einer Sprache sozialisiert. "Eine Familie müsste also irgendwann die Erste sein, die ihren Kindern diese Kunstsprache als Erstsprache beibringt", sagt de Cillia.
 
Linguist Jäger: 

Selbst wenn weltweit eine Sprache eingeführt würde, würde diese sich anschließend ausdifferenzieren. Eher wahrscheinlich sei, dass große Sprachen wie Englisch oder Chinesisch zu einer Art universalen Zweitsprache werden.

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Beteiligt an dem Gespräch:

Eva Vetter vom Institut für Sprachwissenschaften der Uni Wien
Sprachwissenschafter Rudolf de Cillia
Linguist Gerhard Jäger

Vorüberschrift: 
SPRACHLICHE ENTWICKLUNG
Untertitel: 

Werden Dialekte irgendwann aussterben, und könnte es künftig eine Sprache für alle Menschen auf der Welt geben? Wir haben Fachleute um eine Einschätzung gebeten.

Autor: 
Lisa Breit
Archiv: 
https://archive.is/7o5K7

Comments

Es ist schon einigermaßen beeindruckend, was wir hier lesen können:

1) Vetter weist, in etwas anderen Worten, darauf hin, dass Esperanto nicht von allen gleich leicht zu erlernen ist. Es sei sehr stark in europäischen Sprachen verhaftet. Das ist schon richtig, macht aber keinerlei Unterschied zu Sprachen wie Englisch, Spanisch oder Französisch aus - die sind natürlich ebenso von Russen schwerer zu erlernen als von Niederländern und von Chinesen noch schwerer; die brauchen etwa drei Mal so viel Zeit. Bei Englisch bis zu etwa 4000 bis 5000 Stunden, um die Sprache fließend zu sprechen, bei Esperanto etwa ein Viertel davon :-D

2a) Sprache sei nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch identitätsstiftend, meint de Cillia. Stimmt. Manche identifizieren sich außer ihrer Muttersprache mit z. B. Englisch und anderen Englisch-Sprecher/-innen; andere mit Esperanto und der Esperanto-Sprachgemeinschaft. Wo soll jetzt der fundamentale Unterschied liegen?

2b) Irgendeine Familie muss die erste sein. Stimmt, auch wenn die Vergangenheitsform angebrachter wäre. Diese Familie gab es 1904 in Spanien, damals wurde die erste spätere Esperanto-Muttersprachlerin geboren. Heute gibt es ein paar tausend Menschen mit Esperanto als Muttersprache. Die allermeisten Sprachenfachleute, auch aus der Sprachwissenschaft, haben von diesem Phänomen bis heute keine Kenntnis genommen.

3) Nach Jäger ist es wahrscheinlich, dass große Sprachen wie Englisch oder Chinesisch universale Zweitsprache werden. Ich weiß nicht so recht. Das Englische hat sich von 10 % der Weltbevölkerung 1950 bis heute auf etwa 20 % verbreitet. In weiteren 70 Jahren sind wir dann bei 30 %? Oder auch nicht, weil es danach aussieht, dass der Prozentsatz sich von 2000 bis heute kaum verändert hat, eher hat es abgenommen. Englisch ist halt schon eine recht schwierige Sprache, mit mindestens zwei Normen, in Großbritannien und in den USA. Besonders schwer für Ostasiaten (weshalb auch nur etwa 1 % der Chinesen sich auf Englisch unterhalten können, zitiert der British Council; in Japan wird immerhin von 15 % gesprochen, die Englisch sprechen könen.)

Und warum soll eine Sprache, die man in einem Viertel der Zeit für Englisch lernen kann, sich nicht schneller verbreiten, wenn endlich Sprachenfachleute und Öffentlichkeit die Wirklichkeit der bisherigen Verbreitung und Verwendung des Esperanto zur Kenntnis nehmen? Für Englisch braucht man an deutschen Schulen etwa 10 Jahre, für Esperanto genügen zwei oder drei; da braucht man nur wenig Unterricht, das meiste kann man in der Praxis lernen. Und auch danach geht es bei Esperanto deutlich schneller voran - in so manchem Fall bis zu einer Beherrschung auf fast muttersprachlichem Niveau; fast die ganze Esperanto-Originalliteratur wurde von Esperanto-Nicht-Muttersprachlern geschrieben.
 

Eigentlich schade, dass das Geld der Steuerzahler/-innen in die Sprachwissenschaft fließt mit dem Ziel, die mit Sprache zusammenhängenden Dinge zu erhellen - aber letztlich bleiben diese Erwartungen bezüglich der internationalen Sprache Esperanto weitgehend unerfüllt. Die allermeisten Sprachwissenschaftler/-innen haben nur ausgesprochen wenig Kenntnis von der Esperanto-Sprachpraxis oder von der Argumentation zu Esperanto.

Louis v. Wunsch-Rolshoven
Tel. 0173 162 90 63
(Germanio / Deutschland; el eksterlando: 0049 - 173...)

Daran kann man nach meinem Eindruck eher zweifeln. Ganz abgesehen davon ist es für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte nicht besonders plausibel. Demgegenüber kann man feststellen, dass das Englische in vielen Bereichen ziemlich wenig Erfolg hat im Vergleich mit dem Wünschenswerten: Menschen mit geringerer Bildung sind im Schnitt schlecht im Englischen oder sprechen es nicht. Menschen aus Polen, Ungarn oder Bulgarien auch eher wenig, Menschen aus China oder Japan noch weniger. Esperanto kann für all diese Menschen einen Weg zu internationaler Kommunikation bieten. Auch wenn das nach aller Erfahrung nur etwa 2 % tatsächlich tun werden (Mut zum Neuen und Unbekannten haben nur wenige) - das ist es wert.

Ergänzend ist die weltweite Esperanto-Sprachgemeinschaft einfach sehr attraktiv. Man lernt ein bis drei Wochenenden Esperanto - und los geht's zu Esperanto-Treffen in Dutzenden von Ländern mit Menschen aus Gegenden, von denen man vorher nur wenig in Kontakt war. Das macht ganz einfach Spaß :)

Louis v. Wunsch-Rolshoven
Tel. 0173 162 90 63
(Germanio / Deutschland; el eksterlando: 0049 - 173...)