Englisch! Was sonst? - Forscher untersuchen Kommunikation in Europa
Von der Europäischen Union gibt es die Empfehlung, dass jeder Europäer neben seiner Muttersprache noch zwei Fremdsprachen beherrschen sollte. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus: Tatsächlich können Umfragen zufolge nur 54 Prozent der EU-Bevölkerung eine und nur 25 Prozent eine zweite Fremdsprache, Tendenz fallend. Der Trend gehe in nahezu allen Bereichen eindeutig hin zu nur einer Fremdsprache, dem Englischen, sagt Prof. Dr. Sabine Fiedler vom Institut für Anglistik der Universität Leipzig.
Gemeinsam mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern untersucht sie in dem EU-finanzierten Projekt "Mobilität und Inklusion in einem vielsprachigen Europa (MIME)" die sprachliche Kommunikation in Europa. Die Universität Leipzig ist damit Teil eines wissenschaftlichen Konsortiums, das aus 20 Universitäten und zwei Forschungseinrichtungen besteht. Schwerpunkt der Arbeit in Leipzig ist die Verwendung von Sprachen als Lingua franca in Europa. Lingua franca - ursprünglich der Name einer zwischen dem 13. und 19. Jahrhundert im Mittelmeerraum genutzten Handels- und Verkehrssprache - steht heute als Oberbegriff für Sprachen, die Menschen unterschiedlicher Muttersprachen zur Kommunikation dienen.
Fiedler und ihre Kollegen befragen demnächst Studierende der Universität Leipzig, die über das Programm Erasmus+ an ausländische Hochschulen gehen, zu ihrem Sprachverhalten. "Dazu werden wir Fragebögen erarbeiten und Interviews führen. Das Programm Erasmus+ ist sehr auf den Erhalt der Mehrsprachigkeit ausgerichtet", sagt Fiedler. Viele kritisierten, dass ausländische Studierende die Landessprache nur ungenügend lernen, da die meisten Lehrveranstaltungen in englischer Sprache stattfinden und auch im Alltag Englischkenntnisse ausreichen, um sich "durchzuschlagen".
"Wir wollen untersuchen, in welchen Situationen die Austausch-Studierenden auf die erworbenen Kenntnisse der Landessprache und wann auf eine Lingua franca zurückgreifen", berichtet Fiedler. Umgekehrt sollen auch ausländische Studierende an der Universität Leipzig zu ihren Erfahrungen mit Sprache befragt werden.
Neben dem Projekt Mobilität von Studierenden untersuchen Fiedler sowie ihre Mitarbeiter Dr. Cyril Brosch und Dr. Jan Kruse auch die Kommunikationsstrategien von Asylbewerbern, den Sprachgebrauch in den europäischen Grenzregionen sowie die Verwendung von Esperanto als Lingua franca.
"Derzeit ist Englisch die wichtigste Lingua franca in Europa. Wer sie nicht als Muttersprache beherrscht, muss sie lernen. Gerade Wissenschaftler sind darauf angewiesen, diese Sprache gut zu beherrschen. Für die Muttersprachler des Englischen bedeutet das einen finanziellen und zeitlichen Vorsprung", erläutert Fiedler. Nichtmuttersprachler fühlten sich ihnen unterlegen. Das sei vor allem bei Geisteswissenschaftlern der Fall, deren Publikationen stark an der Qualität der Sprache gemessen werden. "Da gibt es Wirkungsverluste, weil sich auch Wissenschaftler in der Fremdsprache nicht so gut ausdrücken können wie in ihrer Muttersprache." Auch dieser psychologische Aspekt werde im Rahmen des Projektes untersucht.
Entgegen der offiziellen Politik ist die Kommunikation in den EU-Institutionen auch immer stärker auf das Englische ausgerichtet. Das zeigt sich zum Beispiel an den Ausgangssprachen der Dokumente der EU-Kommission. Wurden diese 1997 zu 45 Prozent auf Englisch verfasst, ist der Anteil 2013 auf 81 Prozent gestiegen. Besonders benachteiligt von einer Absage an die Politik der Mehrsprachigkeit wären nach Einschätzung Fiedlers der nicht geringe Teil der EU-Bürger mit niedrigem Einkommen und geringem Bildungsgrad, die nicht englisch sprechen. Übersetzungen aller Beschlüsse in die 24 EU-Sprachen wären daher am besten für den sozialen Zusammenhalt. "Ich denke aber, dass sich der Trend zum Englischen noch verstärken wird. Das geht auf Kosten anderer Sprachen", meint Fiedler.
Hintergrundinformationen zu dem Projekt:
Das Forschungsprojekt zur Kommunikation in Europa mit dem Titel "Mobility and Inclusion in Multilingual Europe (MIME)" hat im vergangenen Jahr begonnen und wird bis 2018 laufen. Insgesamt fördert die EU es mit 5 Millionen Euro. Der Anteil der Universität Leipzig beträgt 350.000 Euro.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Sabine Fiedler
Institut für Anglistik, Abt. Sprachwissenschaft
Telefon: +49 341 97 37341
E-Mail: sfiedlerrz.uni-leipzig.de
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