Warum Esperanto - es gibt doch Englisch? Internationale Esperanto-Veranstaltung in Wiesbaden

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Veröffentlichungsdatum: 
2023-12-28
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Zum 20. internationalen Esperanto-Neujahrstreffens des Vereins EsperantoLand sind in Wiesbaden 152 Gäste zusammengekommen, aus einem Dutzend Ländern in Europa sowie Kanada. Es gibt ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Programm mit Vorträgen, Diskussionen, Konzerten, Theater, Ausflügen und Kinderprogramm für die 32 teilnehmenden Kinder und Jugendlichen. Gemeinsame Sprache ist das internationale Esperanto, das viele Gäste seit vielen Jahren sprechen; außerdem werden Sprachkurse angeboten.

Gelegentlich taucht bei Außenstehenden die Frage auf, warum viele Menschen Esperanto ergänzend zu Englisch sprechen. Hier eine Antwort.

Warum Esperanto — 
 es gibt doch Englisch?

Englisch ermöglicht für viele Menschen internationale Kommunikation. Allerdings hat die internationale Sprache Esperanto mehrere Vorteile gegenüber Englisch. Das liegt unter anderem daran, dass Esperanto vor über 130 Jahren speziell dafür geschaffen wurde, als Brückensprache zwischen den Völkern zu funktionieren — möglichst einfach und doch präzise. Englisch ist demgegenüber in erster Linie die Sprache der Englisch- Muttersprachler/innen und es entwickelt sich vor allem in Bezug auf diese Verwendung.

Esperanto: 

Viel schneller zu erlernen. 

Mehr kulturelle Gleichberechtigung

Insbesondere zwei Vorzüge zeichnen Esperanto gegenüber dem Englischen aus: Es ist viel schneller erlernbar, nämlich in etwa einem Viertel der Zeit, die für Englisch nötig ist; das gilt nicht nur für Sprecherinnen und Sprecher europäischer Sprachen, sondern wegen des einfachen und geschickten Aufbaus auch z. B. für Asiaten.

Zum zweiten ermöglicht Esperanto deutlich mehr Gleichberechtigung der Kulturen der Welt; seine Sprecherinnen und Sprecher kommen aus vielen verschiedenen Ländern der Erde und sie können ihre Kulturen in Esperanto gleichberechtigt einbringen.

Esperanto als ergänzende Sprache zum Englischen

Für wen ist Esperanto insbesondere attraktiv?

1) Menschen mit wenig Zugang zu Bildung

Viele Menschen mit wenig Zugang zu Bildung haben nur geringe Englisch-Kenntnisse. Andere sind nicht sehr sprachbegabt. Da Esperanto weit einfacher zu erlernen ist, können diese Menschen mit Esperanto einen deutlich leichteren Weg zu internationaler Kommunikation finden. Es gibt viele Beispiele von Personen, die mit Englisch gescheitert sind und sich dann mit Esperanto ihren Traum von internationalen Kontakten verwirklichen konnten. Mittlerweile gibt es in über 120 Ländern weltweit Esperantosprecherinnen und -sprecher.

2) Sprecherinnen und Sprecher von Sprachen, die vom Englischen weit entfernt sind

Für Sprecherinnen und Sprecher germanischer Sprachen wie Niederländisch, Schwedisch oder Deutsch ist Englisch vergleichsweise einfach zu erlernen. Schwieriger ist das schon für Sprecherinnen und Sprecher romanischer Sprachen und erst recht für Sprecherinnen und Sprecher slawischer oder gar ostasiatischer Sprachen. Das kann man auch daran ablesen, dass der Anteil der Bevölkerung, der Englisch spricht, sehr unterschiedlich ist: Er beträgt z.B. in den Niederlanden und Schweden etwa 85 - 90 %, in Deutschland 56 %, in Frankreich 39 %, Italien 34 %, Spanien 22 %, Polen 33 %, Japan 15 %, Brasilien 6 % (Zahlen nach Eurobarometer 386, Sprachen, 2012, und David Crystal, 2019). Das bedeutet, dass in Brasilien 94 % der Bevölkerung, in Japan etwa 85 % und in vielen weiteren Ländern, z. B. in der EU, etwa 65 bis 80 % der Bevölkerung keinen Zugang zu internationaler Kommunikation auf Englisch haben. Da Esperanto weit einfacher und schneller zu erlernen ist als Englisch, kann es für diejenigen ein Weg zu weltweiter Verständigung sein, die das mit Englisch nicht erreichen konnten. In so manchem Land mit vergleichsweise wenig Englischsprechenden gibt es an vielen Orten Esperantosprechende, z. B. in Brasilien und in Japan, sodass man dort mit Esperanto gut Kontakt zu Einheimischen knüpfen kann.

3) Englischsprechende, die ein höheres Sprachniveau erreichen wollen

Viele Menschen, die Englisch gelernt haben, stellen immer wieder die Grenzen ihrer Sprachbeherrschung fest: Wenn man englischsprachige Texte liest, begegnen einem oft unbekannte Wörter oder Ausdrücke. Wenn man Englisch spricht oder schreibt, dann ist man oft unsicher und fragt sich, ob die Formulierung richtig ist.

Bei Esperanto taucht dieses Gefühl weit weniger auf, weil Esperanto regelmäßig aufgebaut ist. Auch die Zahl der Esperanto-Wörter, die zu lernen sind, ist deutlich geringer, da Esperanto eine regelmäßige Wortbildung hat (Beispiel, Deutsch: Schule, Schüler, lernen; Englisch: school, pupil, to learn; Esperanto: lernejo, lernanto, lerni).

Esperantosprechende erreichen im Schnitt nach etwa drei Jahren in Esperanto ein Sprachniveau, das über dem ihrer anderen Fremdsprachen liegt. Man fühlt sich mehr und mehr in Esperanto zuhause, weil man sich besser und besser ausdrücken kann.

4) Menschen, die an der internationalen Esperanto- Sprachgemeinschaft teilhaben wollen

Seit über 130 Jahren haben Menschen aus vielen Dutzend Ländern die internationale Esperanto-Sprach- und Kulturgemeinschaft aufgebaut. In ihr kommen Menschen aus aller Welt gleichberechtigt zusammen. Die Esperanto-Sprachgemeinschaft hat sich ihre eigene Kultur mit insbesondere Büchern, Liedern und regelmäßigen internationalen Begegnungen geschaffen. Hier treffen sich Menschen aus West und Ost, aus dem globalen Norden und Süden.

Das Ende der Verbreitung des Englischen auf der Welt

Um 1950 haben etwa 250 Millionen Menschen auf der Welt Englisch gesprochen, etwa 10 % der Weltbevölkerung. Die Zahl der Englischsprechenden ist nach Zahlen von David Crystal bis 1993 auf etwa 1,5 Milliarden angestiegen (27 % der Weltbevölkerung) sowie bis 2003 auf etwa 2 Milliarden (31 %); für 2019 werden von Crystal 2,3 Milliarden angegeben — das bedeutet eine Abnahme auf 30 % der Weltbevölkerung gegenüber 2003. Diese Stagnation oder sogar Abnahme entspricht den Vorhersagen von David Graddol in einer Studie für den British Council von 1997 (The Future of English?, bes. S. 60, „English as a transitional phenomenon“, Englisch als ein Übergangs-Phänomen). Nicholas Ostler prognostizierte ebenso 2010 ein Ende des Englischen als Weltsprache (The Last Lingua Franca: English Until the Return of Babel). 

 

 

Die Anzahl der Englischsprechenden auf der Welt wird in anderen Schätzungen eher mit etwa 1 bis 1,5 Milliarden Menschen angegeben; das entspricht etwa 12 bis 20 % der Weltbevölkerung und damit einem Anstieg um etwa 2 bis 10 Prozentpunkte im Zeitraum 1950 bis 2020.

Brüssel: Englisch stagniert bei 30 - 35 %

Das Ende der Verbreitung des Englischen zeigt sich auch z. B. in Brüssel, wo der Anteil der Englischsprechenden an der Bevölkerung zwischen 2001 und 2018 bei 30 bis 35 % stagnierte (Studie BRIO).

Englisch wird nicht die internationale Sprache für alle werden.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert, seit den 1950-er Jahren, bemühen sich insbesondere Großbritannien und die USA sehr um die weltweite Verbreitung des Englischen. Es hat sich gezeigt, dass das Englische zwar eine wichtige Funktion in der internationalen Kommunikation übernommen hat, dass es aber voraussichtlich in vielen Bereichen praktisch kein weiteres Wachstum erreichen wird. In den letzten zwei Jahrzehnten ist im Weltmaßstab eher eine Stagnation festzustellen; in den Jahrzehnten davor war die Zunahme mit höchstens etwa 3 - 4 Prozentpunkten pro Jahrzehnt (nach anderen Zahlen eher 1 - 2 Prozentpunkte pro Jahrzehnt) so gering, dass ein signifikantes Wachstum der Zahl der Englischsprechenden auf der Welt nicht mehr zu erwarten ist.

Esperanto und Englisch

Es stellt sich daher die Frage, wie zumindest ein Teil der etwa 70 bis 85 % der Weltbevölkerung, die Englisch nicht beherrschen, einen Weg zu internationaler Verständigung finden können. Die internationale Sprache Esperanto bietet eine sinnvolle Ergänzung zum Englischen, da sie mit vergleichsweise geringem Zeitaufwand zu erlernen ist und mehr kulturelle Gleichberechtigung bietet.

Wenn man sich demgegenüber dem Esperanto als Ergänzung zum Englischen widersetzt, verwehrt man vielen Menschen die Möglichkeit internationaler Kommunikation — insbesondere Menschen mit geringerem Zugang zu Bildung sowie Menschen mit Muttersprachen, die weit vom Englischen entfernt sind. Eine europaweite und weltweite gleichberechtigte und direkte Kommunikation kann wohl nur mit Esperanto erreicht werden, auch wenn automatische Übersetzung in vielen Bereichen hilfreich ist.

Ansprechpartner: 
Louis von Wunsch-Rolshoven
Kontakt Rufnummer: 
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